Optimaler Widerruf bei Kredit, Kapitalanlage und Versicherung
Dr. Johannes Fiala / Dipl.-Math. Peter A. Schramm
München im April 2015
Optimaler Widerruf bei Kredit, Kapitalanlage und Versicherung *
- Wann eine Rechtsvertretung ohne Begutachtung pures Geld verschenkt -
Niemand würde Finanzhäusern, also Banken und Versicherern rechtswidriges oder unredliches Verhalten unterstellen, wenn betroffene Kunden nach einem Widerruf von Kredit- und Kapitalanlage- oder Versicherungsverträgen nicht das erhalten, was ihnen eigentlich zustehen würde. Ohne sachverständige Auseinandersetzung mit der Materie werden von beiden Seiten der Auseinandersetzung um die Rechtsfolgen eines Widerrufes gerne gewichtige Posten schlicht übersehen – wie viele Gerichtsurteile zeigen.
Warum Fehler oft unerkannt bleiben
Wenn beispielsweise eine private Krankenversicherung (PKV) sich auf die Kalkulationsverordnung beruft, und eine Beitragssteigerung durchsetzen möchte, trägt sie regelmäßig die volle Beweislast. Die PKV bringt dann Berechnungen und Gutachten vor, deren Richtigkeit nicht selten bereits mit möglichen ernsthaften Zweifeln an der Auslegung und Anwendung zu Fall gebracht werden könnten. Denn vielfach hat der Gesetzgeber nur lückenhafte Vorgaben zur Verfügung gestellt, beispielsweise durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, deren Inhalt und Auslegung im Instanzenzug noch nicht abschließend geklärt sind.
Nicht selten setzen sich Gerichtsgutachter über diese Zweifel hinweg und legen – ohne dazu befugt zu sein - ihre eigene Rechtsanschauung zugrunde, die sie aber kaum offenlegen, sondern als sachverständige Beurteilung präsentieren. Meist hilft erst ein Privatgutachten eines versicherungsmathematischen Sachverständigen, die Schwachstellen eines Gerichtsgutachtens aufzudecken und darin verborgene oft eigentlich zugrundeliegende höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfragen dem zuzuführen, der tatsächlich nur darüber befinden darf: dem Richter.
Prozeßerfolg nach über hundert abgewiesenen Klagen
Die Finanzierung mit hintereinander geschalteten Bausparverträgen bezeichnen Fachleute als „Dortmunder Modell“. Ein privatgutachterlich beratener Kläger kam erstmalig auf die Idee, finanzmathematisch vorzurechnen und aufzuzeigen, daß seine Darlehens-Restschuld und die Raten planmäßig absehbar bei hintereinander geschachtelten Bausparverträgen nach X Jahren höher war als zu Beginn. Erst diese qualifizierte Darlegung überzeugte das Gericht erstmals, nach hunderten vorher abgewiesenen Klagen.
Schließlich wurde das komplexe, verwirrende Finanzierungsmodell auch vom BGH kassiert (Beschlüsse vom 13.07.2010 (Az. XI ZR 71/09, 72/09 und 73/09)). Ein Vorausdarlehen und ein weiterer Bausparer sollten zur Tilgung nach etwa 27 Jahren reichen – tatsächlich ergaben Berechnungen später etwa 34 Jahre als Dauer. Nicht nur die lange Laufzeit, auch die kurze Zinsbindung konnte sich zur Anlegerfalle entwickeln. Ohne Privatgutachter hätte kaum ein Rechtsanwalt den Beratungsschaden darstellen können.
Viele Anwälte vertrauen indes darauf, dass dies ein Gerichtsgutachter nachholen wird – oft ein teurer Fehler, denn der Gerichtsgutachter wird nur die aus dem strittigen Klagevortrag sich ergebenden konkreten Beweisfragen dem Gerichtsgutachter zur Beantwortung vorgeben, und nur dies darf er im Gegensatz zum Privatgutachter beantworten, will er sich nicht dem Verdacht der Befangenheit aussetzen. Der Anwalt ist im Vorteil, der weis, wo er besser auch einen Sachverständigen einschaltet.
Kehrtwende der Rechtsprechung erst durch ordentliche Darstellung und Recherche
Das OLG Celle (Az. 16 U 127/04, Urteil vom 07.12.2004) entschied dann erstmals: „Obwohl der Senat eine erhebliche Zahl von Entscheidungen (auch im Rahmen von PKH Beschwerden) zur Rückabwicklung von Kaufverträgen, überwiegend mit Beteiligung der Beklagten, jedoch auch mit anderen Verkäufern erlassen hat, ist bisher niemals auch nur ansatzweise die im Tatbestand dargelegte Vertriebsstruktur, das D.er Modell und die damit verbundenen Konsequenzen vorgetragen worden. Dem Senat war dieses D.er Modell und insbesondere das nur für den internen Dienstgebrauch bestimmte Berechnungsmodell über die Dauer der Finanzierung von ca. 30 Jahren bisher nicht bekannt. Der Senat nimmt das zum Anlass zu Modifikationen seiner Rechtsprechung, auf die im Einzelnen noch eingegangen wird.“
Keine Beweislastumkehr ohne Dokumentationspflicht oder Protokollpflicht
Handelt es sich um Finanzprodukte, also die Vermittlung durch Bankberater und Versicherungsvermittler, sind die Kunden weitaus besser gestellt, als der Immobilienkäufer.
Hierzu entschied der BGH (Az. V ZR 114/07, Urteil vom 13.06.2008) im Fall zweier Bausparverträge und lediglich der Angabe einer Zahlungsbelastung im ersten Monat durch den Vermittler:
"Der Käufer trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verkäufer seine Pflichten aus einem Beratungsvertrag verletzt hat, auch dann, wenn dieser ihm ein unvollständiges und insoweit fehlerhaftes Berechnungsbeispiel zur Ermittlung des monatlichen Eigenaufwands vorgelegt hat. Die schriftliche Beratungsunterlage trägt nicht die Vermutung, dass dem Kaufinteressenten keine weiteren, über die schriftliche Berechnung hinausgehenden Informationen erteilt worden sind. ...“
Für eine Beweislastumkehr braucht es rechtliche oder tatsächliche Grundlagen, so insbesondere die Dokumentationspflicht. Keine Dokumentationspflicht gibt es aber beim Immobilienverkauf, sowie für die rechtliche Beratung durch Rechtsanwälte und Steuerberater. Anders ist es heute bei der Anlageberatung der Banken, sowie bei der Vermittlung von Finanzanlagen durch freie Vermittler – einschließlich solcher mit Prospektpflicht, sowie bei der Versicherungsvermittlung.
30% Kompensation durch fehlerhafte Berechnung verschenkt – trotz gewonnener Klage
Mancher Scheidungsanwalt freut sich über den Vergleich im Rahmen eines Versorgungsausgleichs, wonach beispielsweise die Hälfte einer Leistung aus Direktversicherung an den Ex-Ehegatten zu zahlen ist. Dazu wurde vom Direktversicherten Ehemann eine Muster-Lohnberechnung vorgelegt, und die Hälfte aus dem Nettobetrag, nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherung (KV/PV) und nach Minderung um die Lohnsteuer (ohne Nutzung der 1/5tel Regelung des § 34 EStG) berechnet.
Die Empfängerin, Ehefrau meinte zwar, dass es da doch eine 1/5tel Regelung gäbe, erkannte aber vor allem nicht, dass der Ehemann die Zahlung steuerlich absetzen konnte und sie selbst es noch versteuern muss. Hingegen zahlt er alleine die KV/PV und darf diese daher voll allein abziehen. Noch ganz am Ende bringen sich so bei Gericht zunächst Erfolgreiche aus Nachlässigkeit um den Lohn ihrer vorherigen Bemühungen, wenn sie auf die abschließende Prüfung durch Sachverständige zur Kostenersparnis verzichten.
Jedes Gericht wird gleichwohl einen derartigen Vergleich als unanfechtbar betrachten, denn schließlich herrscht ja Anwaltszwang im Scheidungsverfahren. Weil Wirtschaftsberatung nicht zum Anwaltsberuf gehört, wird die Zuziehung von Sachverständigen überwiegend empfehlenswert sein.
Nachlässigkeiten in der Umsetzungsphase von Urteilen oder Vergleichen sind die Regel
Beim Abschluß von Vergleichen, auch außergerichtlich, aber auch bei der Rückabwicklung von Finanzgeschäften, sowie wenn es um Schadensersatz und die Bereicherungsabrechnung nach Widerruf von Krediten, Darlehen, Kapitalanlagen und Versicherungen geht, aber auch bei Erbauseinandersetzungen, werden nicht selten ganz wesentliche Posten schlicht vergessen oder fehlerhaft berechnet und bewertet – und dies dann mit meist sehr teuren Folgen für Betroffene.
Widerrufsfolgen ohne Beachtung der Rechtsfolgen
Wird ein Versicherungsvertrag widerrufen, spricht man auch vom Widerspruch. Dieses Recht, auch bei Kreditverträgen der Existenzgründer und Verbraucherdarlehen, verbleibt dem Kunden auf immer und ewig – also beispielsweise gegenüber Versicherern, Banken, Produktanbietern von Kapitalanlagen - wenn nicht oder unzureichend oder unrichtig belehrt worden ist. Das Risiko von Fehlern auf Seiten der Finanzhäuser ist praktisch sehr hoch – denn die Beweislast liegt nicht beim Kunden. Allerdings kann es vorkommen, daß die Rechtsprechung nicht die richtigen Schlüsse zieht, weil der Kunde das Nötige nicht vorträgt.
Versicherungskunden wissen spätestens von ihrem Anwalt, daß der Versicherer nach einem Widerruf die Beiträge zurückerstatten muss, und weder Abschluß- noch Verwaltungskosten oder einen einkalkulierten Gewinn behalten darf. Auch gezogene Nutzungen sind herauszugeben - man müsste nur noch wissen, wie diese entstehen. Übrig bleibt dann für den Versicherer nur jener Teil der bezahlten Prämie, als einer von vielen Abrechnungsposten, der dem tatsächlich realistisch getragenen – nicht dem höheren kalkulierten - Risiko entspricht. Der Widerruf führt also nicht zur Kostenfreiheit des Risikoschutzes. Selbst die Leistungen nach Versicherungsfällen kann der Kunde am Ende behalten, weil er ja auch die Risikobeiträge dafür tragen muss, wie der BGH festgestellt hat.
Der „Ausstieg durch Widerruf“ erweist sich dennoch oft als schlechtes Geschäft für den Kunden, weil es ihm ohne Sachverständigen regelmäßig vor Gericht nicht gelingt, seine Ansprüche tatsächlich in voller Höhe für den Richter nachvollziehbar darzulegen. Folge sind Urteile, wo ihm der Richter vorrechnet, dass er mit dem Rückkaufswert bereits alles erhalten hat, was er mit der Klage verlangt hatte – nachdem er bzw. der Anwalt dort schlicht zuwenig als Anspruch vortrug.
Ähnlich schaut es bisher bei Bankkunden aus, die nach einem Widerruf es sich haben gefallen lassen, daß vermutlich wegen fehlender Einbindung von Sachverständigen oder verkannter Rechtslage, der Widerruf von Darlehen bzw. Krediten darin mündete, daß Obergerichte mehr als vereinzelt meinten, der Kunde würde dann den „marktüblichen Zins“ schulden. Dies liegt kaum daran, daß tausende Fehlurteile durch Richter zu verantworten wären. Vielmehr haben Bankkunden nach einem Widerruf (z.B. wegen einer Haustürsitutation, mit Besuch des Vermittlers am Arbeitsplatz oder zu Hause) oft keinen geeigneten Privatgutachter eingeschaltet hatten, der ihnen und den Gerichten erklärt, wie Banken ihre Zinsmargen im Einzelfall kalkulieren. Vielfach ist nämlich nicht bekannt, daß sich Banken gerne kurzfristig und extrem zinsgünstig jenes Geld leihen, welches dann für ein Vielfaches vom Kreditinstitut zur Finanzierung an Darlehenskunden ausgereicht wird.
Diese Gewinnmarge hat sich in den letzten Jahren deutlich vergrößert, nicht nur durch die Niedrigzinsen der EZB. Sie stellt mithin die Nutzungen dar, die von der Bank bei der Berechnung des marktüblichen Zinses ebenfalls bei Rückabwicklung wegen Widerruf herauszugeben sind. Die Bank muss hingegen nur vortragen, welchen marktüblichen Zins sie berechnen will – denn die Darlegungs- und Beweislast über die darin enthaltenen gezogenen Nutzungen in Form der Gewinnmarge trägt der widerrufende Kunde, der sich auch vor Gericht dazu aber regelmäßig ausschweigt. Das Gericht darf dann angesichts des mangelnden Vortrags nicht gewissermaßen von Amts wegen selbst ermitteln.
*von Dr. Johannes Fiala, RA (München), VB, MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann (www.fiala.de)
und
Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik (Diethardt), Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de).
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